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Tourtagebuch: 2. Tag - Di., 27.05.2008
Am Morgen um 7.30 Uhr ging es weiter. Die Heizung hatte meine
Fahrradklamotten gut getrocknet. Ich verabschiede den Pfarrer und
verließ ohne Frühstück das Haus. Zu früh für
mich
um etwas zu
essen. Das Wetter ist diesig aber trocken. Meine Strecke führt
mich nach Bad Gandersheim. Dort nahm ich auf dem Wochenmarkt mein
Frühstück ein. Brötchen, Wurst und Gemüse direkt
vom Erzeuger. Ich kann diese verdammmten Energieriegel nicht mehr
sehen, mir drehte sich der Magen. Eine gute Energieversorgung muss doch
auch ohne Astronautennahrung möglich sein. Weiter ging es
über
Nordheim und
Nörten-Hartenberg
bis
Göttingen.
In Göttingen fuhr ich einen Lidl-Supermarkt an um mir ein paar
Snacks und Getränke zu kaufen. Ich hatte ein unbeschreibliches
Hungergefühl auf Bifi und Nüsse! Was für eine
Kombination - ich wollte aber genau diese haben und der Supermarkt gab
es auch her. An der Kasse zückte ich meinen
Fotoapparat und wollte die Kassiererin für mein Tagebuch
fotografieren. Diese wehrte sich wehement dagegen "das dürfen Sie
nicht". "Warum das denn nicht", erwiderte ich. Plötzlich stand
ein 2-Meter-Security-Mann neben mir und unterstrich: "Sie dürfen
unsere Mitarbeiter nicht fotografieren". Ich erwiderte -
zugegebenermaßen
frech: "Wieso, dass macht die Geschäftsleitung doch auch".
Da sprach wohl die dunkle Seite der Macht aus mir heraus. Weiter
über Friedland und Wehretal.
Ab dem Mittag wurde das Terrain sehr bergig. Die Wegstrecke wurde immer
schlechter - die ehemalige DDR kündigte sich an. Noch mehr
Steigungen und starker Gegenwind! Als mein Wasser und
die Verpflegung dann zu Ende gingen und kein Nachschub in Sicht war
ging es
zum
ersten Mal an meine Reserven. Meine Beine wurden schwer wie Blei
und
ich bekam Kopfschmerzen. Ich musste vom Fahrrad steigen und den
Berg hochschieben. Ich befand mich nun in einem Leistungsloch und
musste das
beste daraus machen. Diese Eventualität hatte ich vorab bereits
durchgespielt und ich ließ im Kopf mein "ich bin stark und habe
die
Kraft"-Programm ablaufen. Es wirkte und ich kam weiter voran.
Als ich über die gröbsten Berge war ging es im
Achterbahn-Tempo runter: Bis zu 58 km/h, ohne wirklich mit in die
Pedale zu treten. Bei der
nächsten Steigung dann der Schock: Das
Hinterrad blockierte! Es ging nichts mehr, wie festgewachsen! Ich
vermutete, nun hätte ich ein ernsthaftes Problem und kein
Fahrradladen war in Sicht.
Ich studierte das Hinterrad und stellte fest, dass 2 Speichen
herausgebrochen waren, die zum Teil in die Gangschaltung gefallen
waren.
Außerdem war nun eine Acht in der Felge, die an der Bremse
blockierte.
Was würde McGyver jetzt tun, überlegte ich. Ich zückte
mein
Schweizer Messer und operierte die Speichenfragmente heraus. Die
Hinterradbremse demontierte ich zum Teil. Das Rad hatte zwar noch eine
leichte Acht aber es drehte sich wieder und das war das Wichtigste. Es
ging weiter. Dann fuhr ich am wohl gruseligsten Ort aller Science
Fiction Romane vorbei: Frankenstein! Es gibt ihn wirklich (siehe Foto)!
Nach 30 km dann die nächste Panne: Die Navihalterung brach
auseinander. Das GPS-Gerät konnte ich glücklicherweise gerade
noch vor dem Runterfallen retten. Mit Klebeband konnte ich es
provisorisch auf der Lampe fixieren und somit war das Maleur nicht
weiter problematisch. Scheinbar musste ich ab jetzt mit einem gewissen
Maß von Materialermüdung rechnen und besonders vorsichtig
fahren.
Zwischendurch viele Anrufe und SMS von Freunden: Wo bist Du, wie geht
es Dir. Und auch das "News-Update" mit Hitwelle Radio. Gegen 19:00 Uhr
bin ich in Bad Salzungen eingeradelt und mir
ersteinmal einen großen Teller Spaghetti mit Tomatensoße
bestellt und dazu noch 3 Dosen Fanta. Danach verspürte
ich eine leichte Übelkeit, die im Gegenzug aber die vorherigen
Kopfschmerzen ablösten. Ich hatte nun wieder Power in den Beinen
und
konnte noch bis in den späten Abend weiterstrampeln. Ab Bad
Salzungen wurde das Terrain auch wieder etwas gemäßigter.
Mein Ziel um 22.00 Uhr war das Dorf Bibra, bei Meinigen.
Da die Suche nach einer Unterkunft die letzte Nacht so gut geklappt
hatte wollte ich wieder nach dem gleichen Muster verfahren. Also
Kirchturm gesucht, hingefahren und beim Pastor geklingelt. Dieser
machte
auch wieder auf und war ebenfalls von der Aktion begeistert. "Na klar
haben wir da was für Sie!" war seine Antwort. Ich durfte
wieder im
Pfarrheim duschen, essen und trinken und auch telefonieren, da in Bibra
kein wirklicher Handyempfang möglich war.
Mein Schlafplatz war in einem kleinen Nebengebäude der gotischen
Kirche. Es war eine ehemalige Scheune, die zum Party- und Schlafraum
umgebaut wurde (siehe Foto mit Dachluke). Im Bett musste ich
übrigens nicht alleine
schlafen, denn eine Spinne leistete mir Gesellschaft. Allerdings nur
bis ich mich auf die Seite legte und mein Gewicht auf den 8-Beiner
verlagerte.
Ansonsten stelle ich fest, dass ich viel Kilometer geschafft habe,
sogar 45 über dem Tagessoll. Meine Verfassung war
sehr gut und ich wusste nun ganz sicher, dass ich es innerhalb 4
Tagen schaffen werde.
Tourdaten:
Start: 7:30 Uhr in Bad Salzdetfurth
Ziel: 22:00 Uhr in Bibra
Tagesleistung: 245 km
Gesamtfahrzeit: 13,5 Stunden (inkl. Pausen)
Nettofahrzeit: 12 Stunden
Höchster Berg: 500 m
Durchschnittsgeschwindigkeit: 20,6 km/h
Höchstgeschwindigkeit: 58
km/h
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